Der Damen-Bicycle-Club
in Graz: Pionierinnen für den Frauensport
"Als sich Anfang 1893 einige Radfahrerinnen in Graz zu diesem ersten Damen-Radfahrverein der Österreichischen Monarchie zusammenschlossen, bot eine Frau zu Rad einen eher seltenen Anblick. Rad fahren war weitgehend Männersache, und das Fahrrad wurde noch hauptsächlich als Sportgerät betrachtet." (Harrer1, S. 101)
Wir befinden uns in einer Zeit, als der Anblick von Frauenwaden als unanständig diffamiert wurde, das Korsett zur Ausstattung einer "anständigen bürgerlichen Frau" gehörte, unverheiratete Frauen in Begleitung von Anstandsdamen ausgehen mussten, Hochschulstudium und gleichwertige Bildung erst erkämpft werden mussten und eben erst im Jahr zuvor eine erste Arbeiterinnenversammlung stattfand. Das Radfahren war überhaupt noch Anfeindungen auf der öffentlichen Strasse ausgesetzt. Pferdefuhrwerke scheuten und Fußgänger erschreckten.
"Als das Fahrrad auf die Welt kam, war es männlich." (Bleckmann, Covertext). Es wurde „Fahrmaschine ohne Pferd“ genannt, auch Velociped“ oder „Draisine“ (Harrer2, S. 7). Als 1888 der pneumatische Reifen patentiert wurde, also ein wirklich funktionstüchtiges Zweirad entstand, war es für Männer gedacht. Hochrad, Niederrad, Militärrad, Dreirad – hier entstand eine Männerdomäne. Frauen konnten Fahrräder dann nutzen, wenn ihre Schicklichkeit bewahrt war: keine sichtbare Anstrengung, keine verschwitzten Gesichter, keine sichtbaren Knöchel oder gar Waden, und schon gar keine Hosen waren erlaubt für eine anmutige Frau. Dreiräder, Tandems und seit den 1880ern Damenräder heutiger Bauart standen einer Frau zu. Die Frauen gehörten sowieso eigentlich ins Haus! Und daher mussten sich die verheirateten Frauen den Vorwurf gefallen lassen, Familie und Hauswesen zu vernachlässigen. Ledige wiederum traf der Verdacht, sich der elterlichen Aufsicht entziehen oder einen Partner "erradeln" zu wollen. (Harrer1, S. 102)
Als Beispiel für das sich tatsächlich lockernde Geschlechterverhältnis kann die Heirat von Louise Sorg gelten, die mit ihrem Ehemann ihre Hochzeitsfahrt als Tandemfahrt nach Venedig unternahm.
Bei einer fröhlichen Radpartie tauchte die Idee eines eigenen Frauenclubs bei Elise Steininger und Vicenza Wenderich auf, nachdem die Grazer Männerfahrradvereine große Vorurteile gegenüber dem Damenradfahren zeigten. Es ging also nicht nur um sportliche Emanzipation und Geselligkeit, sondern auch um Gleichberechtigung von Frauen im Vereinswesen. Mit dabei waren dann auch Louise und Mitzi Albl und Louise Sorg. Sie führten eine "Akademie" vor, ein festliches Saalfahren mit Schul-, Reigen und Kunstfahren. Gefahren wurde in der "Industriehalle", das Hauptgebäude im heutigen Messegelände.
Einige Frauen kamen aus einschlägigen Familien: Louise Sorgs Vater besaß ein Fahrrad- und Nähmaschinengeschäft und später eine moderne Radfahrschule mit Berg- und Talbahn. Der Vater der Schwestern Albl war Fahrradfabrikant und betrieb auch eine Radfahrschule.
Am 16. Feber 1893 fand die Gründungsversammlung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs (GDBC) in der Gastwirtschaft "Zum goldenen Steinbock" in der Jakominigasse 59 statt. Es war dies der zweite Frauenradfahrverein im deutschen Sprachraum. Vorsitzende war Elise Steininger. Fahrmeisterin war Louise Sorg, die alle fahrtechnischen Belange verwaltete, vom Fahrunterricht für Neueintretende bis zur Gestaltung von so genannten "Clubpartien". Eine einheitliche Klubkleidung - Fahrdress mit Strohhut und Galadress samt der modernen und provokanten Schirmmütze wurden beschlossen.
Es gab lustige Wanderfahrten nach Abtissendorf und in andere Dörfer der Grazer Umgebung. Clubgeselligkeiten wurden gepflegt. Corsofahrten, Festzüge zu Rad, wurden als Werbefahrten der Vereine veranstaltet. Der junge Verein beteiligte sich Rad fahrend blumenbekränzt vom Hilmteich durch die Schubert-, Beethoven- und Elisabethstrasse bis zum Erzherzog Johannring. Im ersten Vereinsjahr wurden insgesamt 8700 km auf 5 Clubpartien und Tourenfahrten bewältigt. Eine eigene Fahrschule auf den Namen Steininger wurde in der Pfeifengasse, heute Schiesstattgasse, wurde gegründet. Bis 1897/98 war ein Fahrausweis samt Prüfung für das Befahren der öffentlichen Verkehrswege erforderlich, daher entstanden viele Fahrschulen.
Im zweiten Vereinsjahr gab es 27 Mitglieder. Unter den ledigen Frauen waren drei Berufstätige, eine Telegraphistin und zwei Lehrerinnen. Auch die Malerin Sidonie Baltl gehörte dem Verein an und eine Adelige, Josa von Matzner, die das Frauen-Radsportblatt "Die Radlerin" herausgab. (Harrer1, S. 110) Der Verein trug sehr zur Popularisierung des Frauenradfahrens bei. Zumindest im bürgerlichen Milieu wurde der Fahrradsport mehr und mehr gepflegt. Um 1900 war es für Frauen kein Anstandsproblem mehr, allein Ausfahrten zu machen.
Aber immer noch war das Fahrrad ein teures Gerät: es kostete ein ganzes Jahresgehalt eines männlichen Arbeiters. Für Frauen bedeutete dies, dass es fast unerschwinglich war, wenn sie berufstätig waren. Gebrauchte Fahrräder waren begehrt. Erst in den 1950er Jahren wurde das Fahrrad ein erschwingliches echtes Alltagsfahrzeug für alle Schichten. Heute sind es überwiegend Frauen, die alltäglich Radfahrten in der Stadt für Erledigungen verwenden.
Zitat: Rosa Mayreder, die große Dame der Frauenbewegung konstatierte um 1905, "Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen." (Bleckmann, 143)
Ausgewählte Literatur:
Hilde Harrer, Der "Grazer Damen-Bicycle-Club". Rad fahrende Frauen gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in: Carmen Unterholzer, Ilse Wieser (Hg.), Über den Dächern von Graz ist Liesl wahrhaftig. Eine Stadtgeschichte der Grazer Frauen, Wien 1996. (zitiert als Harrer1)
Hilde Harrer, Grazer Radfahrvereine 1882-1900. Ein Beitrag zur Geschichte des steirischen Radfahrwesens, Graz 1998. (zitiert als Harrer2)
Dörte Bleckmann, Wehe wenn sie losgelassen!. Über die Anfänge des Frauenradfahrens in Deutschland, Leipzig 1998
Gudrun Maierhof, Katinka Schröder, Sie radeln wie ein Mann, Madame. Als die Frauen das Rad eroberten, Dortmund 1992
Text und Recherche: Ilse Wieser
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