"Jahrhundertelang war die Geburtshilfe ausschließlich die Angelegenheit der Frauen - Männer gehörten nicht ans Kreißbett. Die Frauen halfen sich gegenseitig oder holten eine erfahrene Frau, die Hebamme. Etwa mit dem Beginn der Neuzeit versuchten männliche Ärzte, in den geburtshilflichen Bereich einzudringen, und damit begann eine Entwicklung, die in den nächsten Jahrhunderten die Geburt und ihr kulturelles Umfeld radikal veränderte." (Krenn-Simon, S. 14)
Die ersten Hebammen wurden im 16. Jahrhundert von der Stadt Graz und den Steirischen Ständen angestellt. Diese Anstellungen waren begehrt, zwar nicht üppig, aber immerhin regelmäßig bezahlt. "Auffällig ist, dass die meisten freiberuflichen Hebammen bereits ältere und/oder verwitwete Frauen waren." (Krenn-Simon, ebda) Der Beruf war strapaziös schlecht bezahlt - oft arbeiteten die Hebammen nur für "Gottes Lohn". Wenn eine Hebamme krank wurde oder ein hohes Alter erreichte und nicht mehr arbeiten konnte, geriet sie in große Armut. In dieser Zeit wurden in vielen Städten die oft üppigen Wochenbettfeiern gesetzlich abgeschafft. Erstmals spielte die Angabe des Namens des Kindesvaters eine Rolle.
Die Ausbildung der Hebammen erfolgte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in Form einer zwei- bis dreijährigen Lehre. Wurden die Hebammen angestellt, musste sie eine Prüfung bei einem (männlichen) Arzt (Frauen durften in Österreich bis 1900 nicht Medizin studieren) ablegen und auch bei einem Pfarrer.
In der Zeit der Aufklärung rückte die Gesundheit der Bevölkerung ins Blickfeld der Herrscher, und damit auch die Welt der Geburtshilfe. Sie sollte systematisiert werden. Sie sollte kontrollierbar gemacht werden, so wie die gesamte Bevölkerung. Dabei entdeckten die Ärzte Hebammen, die von der Bevölkerung respektiert wurden. Von den Ärzten wurden sie nicht nur als Laien klassifiziert, sondern auch als "abergläubische Weiber" (Krenn-Simon, S. 26) und als "der Sache unkundige(n) Menschen" bezeichnet. (Krenn-Simon, S. 25). Die Geburt wurde nicht mehr als natürlicher Vorgang, sondern als Krankheit angesehen. "Die Schwangeren waren in ihren Augen kranke Frauen, denen nur die wissenschaftliche Medizin helfen konnte." (Krenn-Simon, S. 16). Das Symbol der Hebammen waren ihre "weisen Hände". Sie wurden nun abgelöst vom Symbol der neuen männlichen Geburtshilfe: der Geburtszange. Der erste offizielle Hebammenlehrer in Graz wurde 1758 ernannt und es wurde versucht, alle Hebammen von ihm prüfen zu lassen.
Als 1726 das Armenhaus in der "Murvorstadt" gebaut wurde, wurde die Gasse davor die "Armenhausgasse" genannt. Nach seiner Fertigstellung beherbergte es gleich 112 Frauen, 239 Findelkinder und 49 Männer. Sieben Jahre danach wurde das Armen- und Zuchthaus daneben gebaut. 1750 wurde das Armenhaus erweitert. 1813 wurde ein öffentliches Arbeitshaus errichtet - eine Zwangsarbeitsanstalt. Zuvor, 1764, wurde im alten Trakt, dem Bäckerstöckl, die Gebäranstalt für ledige Mütter eingerichtet. "Meist waren es Dienstboten und Kellnerinnen - für verheiratete Frauen wäre es absolut gesellschaftswidrig gewesen, im Gebärhaus zu entbinden." (Krenn-Simon, S. 27) Die wenigen ehelichen Kinder, die hier geboren wurden, waren die Kinder der Angestellten und Hebammen der Anstalt.
Die Zahl der in der Anstalt versorgten Schwangeren stieg kontinuierlich, 1830 waren es 1211, in den 1850ern schon 1741. Die angeschlossene Findelanstalt nahm die ungewollten Kinder der Schwangeren auf, aber auch viele andere: in den 1860ern waren es 4200.
Die armen unehelichen Schwangeren wurden unentgeltlich in die Gebäranstalt aufgenommen und mussten sich dafür zum geburtsärztlichen Unterricht sowie zum Ammendienst in der Findelanstalt verwenden lassen. "Die Schwangeren waren Demonstrationsobjekte, an denen die Studenten ihre ersten handgreiflichen Übungen vornehmen konnten. Es gab keine Schamgrenzen - der weibliche Körper wurde unbegrenzt für Untersuchungen und operative Eingriffe benutzt. Die unentgeltlich Aufgenommenen wurden zusätzlich noch mit einer ihren Umständen entsprechenden Arbeit versorgt, durften aber ... nicht zum Heizen der Öfen und zum Wassertragen herangezogen werden.
Jene Frauen, die für den Aufenthalt in der Anstalt die höchste Verpfleggebühr (1 fl. täglich) zahlten, lagen in Einzelzimmern und hatten eine eigene Wärterin zur Verfügung, Frauen der Verpflegstaxe 2. Klasse (30 kr. täglich) lagen zu zweit in einer Stube und hatten eine gemeinsame Pflegerin. Die Frauen, die täglich nur 10 Kreuzer zahlten, waren, wie die unentgeltlich aufgenommenenen, in gemeinschaftlichen Sälen untergebracht und gebaren in einem gemeinsamen Kreißzimmer mit acht Betten, wohingegen jene der Verpfleggebühr der ersten und zweiten Kategorie auf ihren Wohnstuben ihre Kinder zur Welt brachten." (Krenn-Simon, S. 29f)
Jene Schwangeren, die anonym gebaren, konnten eine so genannte "Aufnahmstaxe" zahlen, damit ihr Kind in der Findelanstalt bleiben konnte. Die Sterblichkeit dieser Kinder war aber erschreckend hoch: 51% starben vor dem ersten Geburtstag (insgesamt Durchschnitt der Kindersterblichkeit in der Stmk. bei 25%). Die Sterblichkeit der Frauen dürfte auch höher als die der Männer gewesen sein, denn es starben in den meisten untersuchten Jahren doppelt so viele Frauen wie Männer im Spital. (nach Mittelbach, S. 108)
Die Gebäranstalt hatte den Zweck, einerseits "Unterstand und Hilfe für schutzlose Wöchnerinnen" zu gewähren, aber auch Kindesmorden vorzubeugen. Kindestötungen wurden von der Kirche aufs Schärfste verfolgt, auch die uneheliche Schwangerschaft bedeutete Schande und öffentliche Buße, die Abtreibung war verboten. Offensichtlich gab es Abtreibungen, die von Hebammen durchgeführt wurden, obwohl es ihnen bei Strafe des Berufsverbotes untersagt war. So stellte Schwangerschaft eine Bedrohung für die Integrität und die Existenz von unverheirateten (armen) Frauen dar. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert nahmen die unehelichen Geburten auffällig zu. Findlinge wurden eine Massenerscheinung. (nach Pawlowsky, S. 6)
"Gleichzeitig mit der zunehmenden Anerkennung der männlichen Mediziner und der damit verbundenen Ausweitung ihrer geburtshilflichen Tätigkeit gehen hoch qualifizierte Aufgabenbereiche der Hebammen auf die Ärzte über. Der Einfluss der Frauen in der Medizin wird schrittweise zurückgedrängt - Frauenheilkunde und Geburtshilfe werden "Männersache". (Krenn-Simon, S. 33)
Dass diese Situation heute nicht mehr unhinterfragt ist, sondern immer wieder stark kritisiert wird, ist den Feministinnen und Frauengesundheitszentren der Neuen Frauenbewegung zu verdanken. Sie bieten einen frauenspezifischen Blick auf Sexualität und Körper von Frauen und gründen ihren Blick auf Selbstwahrnehmung. Schon in den 1970ern wurden Selbstuntersuchungen in den Frauenzentren angeboten, es wurde die Männerzentriertheit von Verhütungsmitteln kritisiert und politisch dafür gekämpft, dass die Abtreibung entkriminalisiert wird.
Ausgewählte Literatur:
Heidemarie Krenn-Simon,
Von der "weisen Frau" zur staatlich kontrollierten Geburtshelferin - Hebammen
in Graz, in: Carmen Unterholzer, Ilse Wieser (Hg.), Über den Dächern von Graz ist Liesl wahrhaftig. Eine Stadtgeschichte der Grazer Frauen, Wien 1996.
Gustav Mittelbach, Aus dem
I. Sterberegister des Grazer Zivilspitals (1788-1820) und dem Geburts- und
Taufprotokoll des Gebärhauses aus derselben Zeit, in: Blätter
für Heimatkunde, 45. Jg., Graz 1971
Karin Zügner, Bauanalyse
der Firma Arctos, im Auftrag der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt
Graz. Unveröff. Manuskript, Graz 2001
Verena Pawlowsky, Mutter
ledig - Vater Staat. Das Gebär- und Findelhaus in Wien 1784-1919, Innsbruck 2001
Text und Recherche: Ilse Wieser
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