Es lebte eine Wirtin in Graz, die von der bürgerlichen Gesellschaft in der damals kleinen Hauptstadt der Steiermark mit ca. 10.000 EinwohnerInnen bekannt, anerkannt und wahrscheinlich auch beliebt war. Sie hatte 1635 in zweiter Ehe Andreas Prandtauer geheiratet, der in der heutigen Sporgasse 12 ein gut gehendes Gasthaus besass. So war sie nun Wirtin und brachte mindestens eine Tochter und zwei Söhne zur Welt. Einer ihrer Söhne war sehr begabt, konnte studieren und war mit 22 Jahren ein Doktor der Rechte. Diese Frau namens Anna Susanna Prandtauer, oft "Prandtauerin" genannt, führte ein vielleicht anstrengendes, aber wahrscheinlich doch gesichertes Leben.
Schlagartig änderte sich das aber im Jahr 1653. In diesem Jahr sagte der Bettler Gregor Heyser vor dem Bannrichter Johann Andreas Barth in St. Lambrecht/Obersteiermark aus, dass bei einer Zusammenkunft mit dem Teufel auf dem Schöckl bei Graz auch die Prandtauerin vermummt teilgenommen hätte. Heyser gab zwar zu, dass ihm die Frau vorher nicht bekannt gewesen wäre, erklärte aber, dass seine Freunde ihren Namen genannt hätten. Sie sagten ihm auch, dass die Wirtin im Gesicht "schon etwas runzlig" und für eine Frau "gar zu gross" wäre. Weshalb der Bettler einen Menschen denunzierte, verwundert nicht, denn er sagte dies unter der zweiten Folter aus und drei waren unter der damaligen Gesetzgebung erlaubt. Man nannte dies "peinliches Verhör" und endete zumindest mit Verkrüppelungen. Weshalb er aber gerade die Prandtauerin "angab" (denunzierte), geht aus den Gerichtsakten nicht hervor. Der Bannrichter aber könnte sie gekannt haben, denn er lebte zeitweilig in Graz und kannte mit Sicherheit das Gasthaus, das gerne von höher gestellten Personen der Stadt besucht wurde. Vier Jahre später fand der Kapfenberger Zaubereiprozess statt, in dem der Vorwurf gegen den Richter erhoben wurde, er hätte bei der Folter damals den Namen der Prandtauerin suggestiv ins Spiel gebracht. Erst danach hätte der Bettler Heyser die Prandtauerin als Hexe "angegeben". Warum der Bannrichter den Namen der Frau überhaupt zur Sprache brachte, wissen wir nicht. Anscheinend reichten aber damals die Hinweise nicht, um eine Verfolgung der Wirtin in die Wege zu leiten. Der Bettler aber und zwei seiner Freunde wurden 1653 als angebliche Zauberer von dem Richter zum Tod verurteilt und hingerichtet.
In Graz geschah zunächst weiters nichts. Die gegen die Prandtauerin erhobenen Beschuldigungen wurden in den vom Bannrichter angefertigten Verhörprotokollen festgehalten. Ob die Frau davon Kenntnis erhielt, ist nicht bekannt. Die Behörden reagierten nicht. Dennoch ist es durchaus möglich, dass sie wegen der überaus großen Publizität des Prozesses in St. Lambrecht wusste, dass sie in Lebensgefahr schwebte. Der Bannrichter hatte einen Ruf, dass er nicht nur seinen rechtmäßigen Anteil am Vermögen der von ihm Verurteilten erhielt, sondern sich über diese legalen Grenzen sich gern bereicherte, zumal er einen Lebensstil führte, den er nicht leicht finanzieren konnte.
1657 aber war es vorbei mit der scheinbaren Ruhe. Wieder wurde in einem Zaubereiprozess ein Bettler vom Bannrichter Barth verhört. Auch er sagte unter dem peinlichen Verhör aus, dass die Prandtauerin bei einer Zusammenkunft mit dem Teufel dabei gewesen wäre. Diesmal war die Aussage ein Anlass, dass der Grazer Magistrat dem Befehl, die Prandtauerin und zwei Mitangeklagte nach Kapfenberg zum Verhör zu bringen, nachkam.
Der Ursache dafür war die Suche nach Sündenböcken für ein Unwetter in Graz und im Grazer Feld im August des Jahres, das einige schwere Schäden anrichtete. Die Menschen waren überzeugt, dass Zauberer dafür verantwortlich sein müssten, da "...sich unter den Hagelkörnern auch "wunderseltsame Steine" in Form von Totenköpfen und andere merkwürdige Objekte befunden hätten" (Valentinitsch, S. 55). Der Präsident des Innerösterreichischen Geheimen Rates, der Bischof von Seckau, war nun der Meinung, dass man gegen das immer mehr um sich greifende Verbrechen der Zauberei gezielter vorgehen sollte und forderte den Bannrichter zu verschärftem Vorgehen auf. Und dabei kam es wieder unter anderen zur Nennung des Prandtauerischen Namens unter der Folter.
Der Magistrat von Graz wollte Anna Susanna Prandtauerin sofort verhaften. Aber die Frau hatte glücklicherweise einen loyalen Ehemann. Er intervenierte und erreichte, dass seine Frau zwei Advokaten als Beistände vor Gericht bekam. Diese Rechtsberater verteidigten die Rechte ihrer Mandantin sehr vehement und klug, wahrscheinlich auch mit Tricks. Sie konnten zwar nicht erreichen, dass dem Bettler zur Wiedererkennung der Frau vom Hexentreffen nicht nur die Prandtauerin, sondern drei Frauen vorgeführt werden. Sie konnten auch nicht verhindern, dass die Beschuldigte der angeordneten dritten Folterung des Bettlers beiwohnen musste. Aber zur Überraschung des Richters widerrief der Bettler unter dieser Folter seine Aussagen und die Prandtauerin und ihre Mitangeklagten konnten daher am nächsten Tag wieder nach Hause zurückkehren. Der Richter unternahm einige Anstrengungen, um das Verfahren weiterzutreiben und um Anna Susanna Prandtauerin und ihre Mitangeklagten wieder vor Gericht zu bringen. Dies gelang ihm nicht. Zweifellos spielten dabei die Interventionen des Anhangs der Prandtauerin eine wichtige Rolle. Auch Bestechung einzelner massgeblicher Persönlichkeiten sowie Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Behörden über das weitere Vorgehen lassen sich nicht ausschliessen. Sicher ist nur, dass plötzlich die Grazer Behörden es für ratsam hielten die Untersuchung einzustellen.
Die Armen in diesem Prozess aber, BettlerInnen und Bauern, die keinen Rechtsschutz besassen, wurden gefoltert, meist zu Tode verurteilt und hingerichtet.
Anna Susanna Prandtauerin war zwar lebend und ohne Folterung aus diesem Prozess hervorgegangen, sie und ihre Angehörigen lebten aber wahrscheinlich den Rest ihres Lebens trotz gesellschaftlicher Anerkennung in Graz in ständiger Angst vor einer neuerlichen Verfolgung dieser Willkürherrschaft.
Frauen waren in der Zeit der Hexenverfolgung besonders gefährdet. Es genügt ein denunzierender Satz oder eine Verdächtigung, um eine Frau vor Gericht zu bringen, denn, so bestimmte es das grundlegende Buch der Bannrichter, der "Hexenhammer": Frauen würden in besonders naher Beziehung zum Teufel stehen. Mit dieser Begründung wurden Tausende von Frauen gefoltert, ermordet und zum Verstummen gebracht.
Ausgewählte Literatur:
Helfried Valentinitsch, Eine Grazer Wirtin unter Zaubereiverdacht. Ein Beitrag zur Hexenverfolgung in der Steiermark im 17. Jahrhundert, in: Blätter für Heimatkunde 60, Graz 1986.
Erika Wisselinck, Hexen. Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist, München 1986.
Text und Recherche: Ilse Wieser
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