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„KIRSCHENRUMMEL“
Hungerrevolte der Frauen, 7. Juni 1920

Verharmlosung einer Hungerdemonstration, die von Frauen initiiert wurde, als „Rummel“. In den Nachkriegsjahren fanden in zahlreichen österreichischen Städten Hungerdemonstrationen statt, die in Graz ging als „Rummel“ in die Geschichte ein.

Hungerunruhen in Graz - Aufnahmejahr: 1920
Umfeld: Martha Tausk, Stellungnahme zu Kirschenrummel: (10. Juni 1920 in der Zeitung „Arbeiterwille“)
„Es gesellten sich zu den randalierenden Hausfrauen die Passanten, die gewöhnlich um diese Zeit in der Herrengasse sind, Studenten, gewesene Offiziere, höchstens der eine oder andere Geschäftsdiener...“
Martha Tausk vertrat wie ihre (sozialdemokratische) Partei, dass an den Ausschreitungen sicher keine ArbeiterInnen dabei gewesen wären. Dies passte nicht in das Bild der Sozialdemokratie der zwanziger Jahre, die sich als Nicht-Demonstrierer-Partei profilieren wollte.


Ausgangssituation:
In den ersten Nachkriegsjahren häuften sich auch in der Steiermark die Probleme bei der Lebensmittelversorgung. Fast täglich kam es in den Städten zu Hungerdemonstrationen mit Verzweiflungsausbrüchen und Plünderungen. So auch in Graz: Im Juni 1920 gab es zahlreiche Beschwerden bei den Behörden bezüglich der zu hohen Lebensmittelpreise und Frauen kündigten Demonstrationen an, falls die Preise nicht gesenkt würden.
Am Montag, den 7. Juni kam es zu Ausschreitungen in Graz, die in den Medien als „Kirschenrummel“ bezeichnet wurden. Mit einem „Rummel“ hatten diese Revolten wahrlich nichts gemeinsam, denn nach der Schießerei am Nachmittag waren 13 Tote zu beklagen.

Zum Verlauf des 7.Juni 1920:
Kurz nach 8 Uhr früh am Montag des 7. Juni bildeten sich am Kaiser-Josef-Platz Gruppen von Frauen, die sich gegen die hohen Lebensmittelpreise, vor allem aber gegen die hohen Kirschpreise (15 – 16 Kronen/ Kilo) auflehnten – dieser Preis entsprach etwa dem Stundenlohn eines Facharbeiters in der Papierindustrie. Noch dazu war das Jahr 1920 ein ausgesprochen gutes Kirschenjahr, sodass keine Notwendigkeit gegeben war, die Preise derart hoch zu halten. Es drängten immer neue Frauen nach und bald konnte die Polizei die aufgebrachte Menge nicht mehr beruhigen.
Die Frauen zogen weiter zum Jakominiplatz, dort waren innerhalb kurzer Zeit 500 – 600 Leute versammelt. Die Frauen gingen von Stand zu Stand und forderten die Herabsetzung der Preise für Obst und Gemüse. Einige Händler kamen der Forderung nach und verkauften zum Beispiel Kirschen um 4 Kronen das Kilo. Diejenigen aber, die sich den Forderungen der Frauen nicht beugten, wurden angegriffen: Körbe lagen am Boden, Eier wurden zu Boden geschleudert und Gemüse herumgeworfen.
Auf verschiedenen Grazer Plätzen wurden Reden gegen die teuren Lebensmittelpreise gehalten. Lagerräume der Händler (zum Beispiel im Hotel Steirerhof am Jakominiplatz) wurden geplündert. Bis in die Mittagsstunden glich der Jakominiplatz einem Trümmerhaufen, zerstörte Stände, Kisten, zerbrochenes Glas war überall verstreut.
Gegen 13 Uhr kam es zu Zusammenstößen mit der Sicherheitswache; Die Wache setzte Säbel und Stichwaffen gegen die DemonstrantInnen ein, was zu zahlreichen schweren Verletzungen führte. Aber auch die Polizei wurde angegriffen und mit Fußtritten traktiert.
Im Laufe der folgenden Stunden wurde die Zahl der DemonstrantInnen immer größer, jedoch haben sich - so berichten die Zeitungen - jene Frauen aus dem kleinbürgerlichen und bürgerlichen Milieu zurückgezogen, die in den Morgenstunden an den Märkten um billigere Preise gekämpft hatten. Um 15 Uhr 30 musste der Tramwayverkehr eingestellt werden, da die Straßenbahnzüge in der Herrengasse immer wieder von den Demonstrierenden aufgehalten wurden.
Am späteren Nachmittag ging der Demonstrationszug in die Annenstraße. Das Grazer Morgenblatt schrieb, dass dies aufgrund eines Aufrufes „auf zu den Juden in die Annenstraße“ passierte (Grazer Morgenblatt, 8.6.1920). Beim Annenhofkino wurden Auslagen geplündert; die Menschen drangen in das Kino ein, zerstörten das Buffet und die Einrichtung. Die Menge rief (laut Grazer Morgenblatt, 8.6.1920) „Heraus mit den Juden aus dem Kino. Nieder mit den Schundfilmen.“ Angriffe, Beschuldigungen und Verleumdungen gegen Juden waren in diesen Jahren massiv. Der Antisemitismus wurde vor allem auch von einigen Grazer Tageszeitungen geschürt (Grazer Morgen-, Tages-, Abendblatt). Eine eindeutig andere Position vertrat der Arbeiterwille.
Das Gebiet um das Amtshaus in der Schmiedgasse wurde von der Gendarmerie abgesperrt.
Gegen 18 Uhr wurde die Menge auf den Südtirolerplatz gedrängt.
Und um 19 Uhr fielen die ersten Schüsse.
Am Abend versammelte sich die Menge vor dem Parteihaus der Sozialdemokraten in der Hans Resel Gasse. Die DemonstrantInnen erwarteten sich Unterstützung der Partei, jedoch wurden sie durch Wasserwerfer vertrieben. Gegen 16 Uhr 30 wurde am Südtirolerplatz zwischen Griesgasse/ Mariahilferstraße und Hotel Elefant (heute ÖGB) ein Kordon aus Gendarmerie und Soldaten des Volkswehrbataillons gebildet, um die Demonstrierenden (etwa 600) abzuhalten über die Murbrücke (heute Hauptbrücke) in die Innere Stadt vorzudringen.
Dort kam es auch zu den ersten Schießereien. Ein Passant Adolf Grablowitz (Vertrauensmann der Sozialdemokratischen Partei) berichtet, „Ich wiederhole, dass sich während meines ganzen Vorgehens (in Richtung Südtirolerplatz B.D.) das Einzelfeuer ununterbrochen fortsetzte, obwohl rechts und links schon die Toten lagen und auf dem Murplatz selbst keine dicht gedrängte Menschenmenge mehr stand.“ (Berger, S.62)
Auch vom Balkon des Hotel Elefant am Südtirolerplatz wurde geschossen.
In den späten Abendstunden wurde keine Straßenbeleuchtung in der Herrengasse und den angrenzenden Straßen angemacht, um die Demonstranten in die Irre zu führen.
Bei der Schießerei kamen 13 Menschen ums Leben (12 Männer, 1 Frau), der Name der toten Frau war Leopoldine Schnepf. Sie war Lehrmädchen.
40 Menschen wurden im Erhebungsprotokoll erfasst, darunter 4 Frauen und 36 Männer. Das Alter der erhobenen DemonstrantInnen lag zwischen 16 und 61 Jahren, 7 der Teilnehmenden waren beschäftigungslos, fast alle gehörten dem ArbeiterInnenstand an. „Aufgrund dieser geringen Anzahl (von Frauen B.D.) auf eine geringe Frauenbeteiligung zu schließen halte ich für falsch. Es entspricht eher der patriarchalen Praxis, Männer zu Wort kommen zu lassen." (Berger, S. 73)

Folgen:
Im Laufe der folgenden Tage kam es immer wieder zu Vorsprachen von organisierten Frauen bei den Landesräten und im städtischen Ernährungsamt. Auf diese Bitten hin wurde eine Kommission zur Preisregelung eingerichtet. In dieser Kommission waren sowohl VertreterInnen der Gärtner und Händler als auch VertreterInnen der Hausfrauenorganisationen aller drei Parteien. Ab 12. Juni wurden die Preise auf den Märkten genau festgelegt und mussten eingehalten werden, im Falle der Nicht-Einhaltung wurden Geldstrafen verhängt.
Eine weitere Folge war der Rücktritt des Bürgermeisters und der Stadträte von Graz (im Oktober 1920 wurde neu gewählt).

Reaktionen:
Alle politischen Parteien, Organisationen und Medien reagierten ablehnend auf die Demonstration vom 7. Juni. Jedoch zeigten alle Gruppierungen Verständnis für das Anliegen, die Senkung der Lebensmittelpreise, aber die Demonstrantnnen und ihre Methoden wurden aufs Schärfste verurteilt.
Die Katholische Frauenbewegung: „...verurteilt, dass irregeleitete Frauen an diesen tief beklagenswerten Vorfällen teilgenommen hatten.“ (Arbeiterwille, 11.6.1920, 4)
Eine Frau wird in den Medien als Rädelsführerin angeklagt. Sie ist auch die einzige, die in den Medien namentlich genannt wurde. Da diese Frau eine „Zugereiste“ war, wurden die Journalisten noch mehr bestärkt, sie als eindeutige „Zielscheibe“ und als Schuldige zu diffamieren:
„Die Frau Zedwitz, eine obskure Galizianerin, fühlte das Bedürfnis „Volksführerin“ zu spielen, wozu sie keine andere Fähigkeit besitzt als die Demagogie und diese aufdringliche Person benützt, unterstützt von der berüchtigten Megäre Angleitner, die Lust der Frauen nach billigen Kirschen, um in dieser pulvergeschwängerten Zeit so lange herumzuzündeln, bis eine schwere Explosion erfolgte. ... Als dann der von der eitlen, krächzenden Galizianerin entfachte Brand .... Der Plan dieser gewissenlosen Bande ist es Wirrwarr in die Reihen der Arbeiterschaft zu tragen.“ (Arbeiterwille, 9.6.1920, 7)
Petra Berger verweist in ihrer Arbeit auf den Aspekt des unterschiedlichen Umgangs von Frauen und Männern mit Aggression. Sie weist darauf hin, dass die Form des Protestes der Frauen Überreden – Drohen – Überzeugen beziehungsweise Schreien – Schimpfen – Plündern ganz im Gegensatz zu dem Verhalten der Männer steht (Zertrümmern, Zerstören).


Ausgewählte Literatur:
Petra Berger, Frauen in Hunger- und Brotkrawallen am Beispiel des Grazer „Kirschenrummel´s“. (Dipl. Arb., Graz 1994).

Arbeiterwille

Grazer Morgenblatt

Text und Recherche: Brigitte Dorfer

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