FrauenStadtSpaziergänge 2003
Diskussionen auf der Straße
März – Dezember
Graz 2003
"Frauen haben immer Geschichte gemacht, in ihr gelebt und sie gestaltet. Aber die Geschichte der Frauen war bis auf die letzten 30 Jahre durch eine für sie typische Verzerrung gekennzeichnet: Wir sahen sie nur durch die Linse der Wahrnehmungen der Männer und nochmals gebrochen durch die Wertvorstellungen, aus denen Männer ihre Maßstäbe beziehen."
Gerda Lerner
Seit 1991 leiten die Historikerin Brigitte Dorfer und die Kulturvermittlerin Ilse Wieser feministische FrauenStadtSpaziergänge in Graz zur lange verdrängten Geschichte von Frauen. Oftmals führten diese Rundgänge zu symbolischen Orten, da Zeichen der Erinnerung an Frauen in Graz bisher genauso selten wie anderswo waren.
Um der Unsichtbarkeit der Geschichte von Frauen im Grazer Stadtraum entgegenzuwirken und feministisches Wissen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, wurde für Graz 2003 Kulturhauptstadt Europas das Projekt „WOMENT!“ entwickelt.
Ab dem 8. März 2003 würdigen u.a 23 Gedenktafeln die Geschichte und Leistungen der Grazer Frauen. Diese „20+03 ORTE“ stehen auch im Mittelpunkt der diesjährigen FrauenStadtSpaziergänge. In erstmals zehn Terminen der Grazer FrauenStadtSpaziergänge werden Brigitte Dorfer und Ilse Wieser die Orte der 23 Gedenktafeln und viele mehr besuchen.
Durch die Erzählung werden Bilder wachgerufen, die eine Grundlage für neues Geschichtsbewusstsein und Erinnerung an die Kraft und Stärke von Frauen bilden. Mit dabei sind Zeitzeuginnen und Fachfrauen, die durch Diskussionen die Themen vertiefen und mehr unmittelbaren Einblick schaffen.
Bettina Behr, Brigitte Dorfer, Uli Höbel, Ilse Wieser
FRAUENSTADTSPAZIERGÄNGE 2003 - Termine/ Themen/ Treffpunkte
Samstag, 8. März, 15.00 – 16.30
1. „Widerstand“
Ein wichtiges Thema der Frauenforschung war die Geschichte der Hexenverfolgungen, deren Opfer vor allem Frauen waren. Es galt, gegen die HERRschende Geschichtsschreibung Widerstand zu leisten, um diese Tatsache und ihre Ursachen sichtbar zu machen. Eigenständige, laute und einflussreiche Frauen waren von den Kirchenfürsten nicht erwünscht. Anna Susanna Prandtauerin (ca. 1600 - 1668), eine Grazer Wirtin, war eine davon.
Widerstand gegen die Entmündigung von Frauen, gegen schlechte Entlohnung und lange Arbeitszeiten kam aus der Arbeiterinnenbewegung, die 1892 in Graz eine erste Versammlung abhielt. Der Erste Internationale Frauentag am 19. März 1911, der in Graz kämpferisch begangen wurde, war ein Zeichen dafür, dass Frauen nicht länger in der Öffentlichkeit schweigen würden.
1920 wurde von Frauen der sogenannte "Kirschenrummel" initiiert, ein blutig niedergeschlagener Hungeraufstand, der die hohen Lebensmittelpreise anprangerte.
Als Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wurde Maria Cäsar (*1920) bekannt. Sie hat sich bis heute ihren kämpferischen Geist bewahrt.
Treffpunkt: Annenhofkino, Annenstrasse 29
Samstag, 5. April, 15.00 – 16.30
2. „Gegen strukturelle Gewalt“
1991 sollte auch in Graz ein Autonomes Frauenzentrum errichtet werden, als Ort ausschließlich für Frauen: für Diskussionsabende, Veranstaltungen, Werkstätten, Kurse, ein Café und eine Bibliothek. Ein denkmalgeschütztes Haus wurde besetzt - Bulldozer schleiften es. Heute ist nur mehr ein Torbogen sichtbar.
Das erste Grazer Frauenhaus wurde 1981 eröffnet und bietet Schutz für Frauen, die Opfer männlicher Gewalt werden. Wir besuchen den Standort des Frauenhauses in der Albert-Schweitzer-Gasse (1981-1999).
Gegen strukturelle Gewalt arbeitet auch das Frauengesundheitszentrum (gegründet 1993): nicht ein männlich geprägtes Bild von Normalität des weiblichen Körpers und seiner Funktionen, sondern Wohlbefinden und Gesundheit von Frauen stehen im Mittelpunkt der Arbeit.
Treffpunkt: Zimmerplatzgasse 15
Samstag, 10. Mai, 15.00 – 16.30
3. Kunst und Kultur 1
Mit Graz fühlte sich die berühmte Fotografin Inge Morath (1923–2002) besonders verbunden: ihre Großmutter Alexandra Mörath (1877–1968), die am Jakominiplatz wohnte, eine Apotheke leitete und ein unkonventionelles Leben führte, übte großen Einfluß auf sie aus.
Djavidan Hanum (1877-1968), kam nach Jahren in einem ägyptischen Harem und langen Aufenthalten in Deutschland nach Graz zurück, wo die Schriftstellerin und Pianistin als Malerin Karriere machte. Sie lebte in einer kleinen Wohnung am Wittekweg.
Die gebürtige Grazerin Marlies Moitzi, die eine große internationale Schauspielerin - Karriere als Marisa Mell (1939-1992) machte, verbrachte die ersten 18 Jahre ihres Lebens hier und fühlte sich der Stadt ihr Leben lang verbunden.
Mela Hartwig (1893-1967), Schauspielerin und Schriftstellerin, lebte mit ihrem Ehemann bis 1938 in Graz. Als Jüdin musste sie emigrieren, sie wurde aller Besitztümer beraubt, aber vor allem auch ihre vielversprechende Karriere war beendet. Der Grazer Verlag Droschl legte zwei ihrer Werke nun wieder auf.
Die in Graz aufgewachsene Keramikerin und Malerin Maria Birjan-Bilger (1912-1997) setzte sich intensiv mit Kunst und Politik auseinander, lebte wie ihr Freundes- und Familienkreis eine antifaschistische Einstellung und begründete 1947 den Wiener Art-Club mit.
Treffpunkt: Jakominiplatz 16
Samstag, 14. Juni, 15.00 – 16.30
4. Bildung
Bildung von Frauen ist eine wichtige Basis für ihr selbstbestimmtes Leben. Mädchenlyzeen boten zwar eine, wie Christine Touaillon (1878-1928) sagte, „unzureichende Höhere Töchter Bildung“, legten aber den Grundstein für die später erlaubten Mädchenmittelschulen, an denen schließlich auch die Matura abgelegt werden konnte. Als um 1900 das Frauenstudium erkämpft war, spielte dies eine entscheidende Rolle.
Gebildete Frauen, die sich in der Öffentlichkeit durchsetzen wollten, stießen und stoßen immer noch nicht nur auf Widerstand, sondern auch auf Abwertung und Diffamierung.
Die erste Architektin, die an der TU Graz ihr Studium absolvierte, Herta Frauneder-Rottleuthner (1912–1999), wurde ihr Berufsleben lang mit der Frage konfrontiert, „ob sie auch könne, was sie tue“.
Die erste Germanistin, die an der Grazer Universität 1919 um Habilitation ansuchte, Christine Touaillon, wurde mit der Begründung abgewiesen, dass eine Frau nicht die pädagogischen Fähigkeiten hätte, junge Männer zu lehren. In Wien wurde sie 1921 zur Lehre zugelassen. Die erste Frau, die sich am Germanistischen Institut der Uni Graz habilitieren konnte, war im Jahre 1993 Beatrix Müller-Kampel.
Um Mädchen und junge Frauen gemäß ihrer Talente und Neigungen zu fördern, gibt es Mädchenberatungsstellen – in Graz ist es der Verein Mafalda (gegründet 1989).
Treffpunkt: Stadtmuseum - Innenhof, Sackstraße 18
Samstag, 5. Juli, 15.00 – 16.30
5. Frauen – Bewegung (Radrundfahrt)
(in Kooperation mit der ForschungsGesellschaftMobilität)
Frauen waren und sind in Bewegung, was den Kampf um ihre Rechte in sehr vielen Bereichen betrifft (Wahlrecht, Studium, Selbstbestimmtheit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit). Und sie sind auch in Bewegung per Rad:
Der Grazer Damen-Bicycle-Club wollte in den 1890ern nicht nur das Radfahren von Frauen fördern, sondern brach damit auch mit Konventionen und Vorschriften für junge bürgerliche Frauen. Sie konnten sich ohne Aufsicht frei bewegen, Ausflüge ohne Familienkontrolle genießen und ihre Vereinsfunktionen selbst besetzen. Rosa Mayreder bemerkte pointiert, dass „das Fahrrad für die bürgerlichen Frauen mehr zur Emanzipation beigetragen habe als die Frauenbewegung“. Für Arbeiterinnen allerdings blieb das Fahrrad lange unerschwinglich.
Die Arbeiterinnenbewegung vertrat gegen Ende des 19. Jahrhunderts u.a. die Verbesserung der Lebensumstände von Hausgehilfinnen, ihre Versicherung und die gesetzliche Abschaffung menschenunwürdiger Zustände. Ihre Bezahlung war schlecht und sie lebten oft wie Sklavinnen. Die Politikerinnen der Christlich-Sozialen Partei dagegen setzten auf Wohlfahrt und private Fürsorge.
Das Autonome Frauenzentrum Bergmanngasse wurde 1977 von Studentinnen eröffnet. Es setzte auf Information für Frauen über Arbeit, Rechte, Sexualität, Literatur jenseits der patriarchalen Stätten der Wissensproduktion, den Universitäten. Feministische Kritik an der Gesellschaft verbanden die Frauen mit kreativem Engagement und Schaffung von frauenspezifischen Einrichtungen, wie dem Frauenreferat der HochschülerInnenschaft (gegründet 1977).
Treffpunkt: Hilmteich
Samstag, 30. August, 15.00 – 16.30
6. „Genuss“
Das Kochbuch "Die Prato" steht heute noch in vielen Haushalten, wird vererbt und auf Flohmärkten teuer gehandelt. Vor allem die schönen Jugendstilausgaben der "Süddeutschen Küche" sind beliebt und zeigen die umfangreiche und vielfach ausgezeichnete Sammlung von Rezepten von Katharina Pratobevere (1818-1897). Die Abbildungen geben der Ästhetik des Kochens und Essens einen zusätzlichen Impuls.
Im Gegensatz zur "Großen Prato" beinhaltet die "Kleine Prato" einfachere Rezepte und alltagstaugliche Kochempfehlungen. Die Kochbücher von Katharina Pratobevere sind Zeugnisse der Kulturgeschichte des Kochens.
Das bis heute auflagenstärkste Buch des Styria Verlags war auch von außergewöhnlicher Qualität, was die Realitätsnähe, Zuverlässigkeit der Angaben und Anleitungen betrifft. Die erste Auflage stammt aus dem Jahr 1858 und bis ins Jahr 1947 waren 500.000 Exemplare im Umlauf. Übersetzt wurde dieses Werk in insgesamt 16 Sprachen.
Die Redewendung "Man nehme" stammt von Katharina Prato, die empfahl "das Kochen mit Ernst zu lernen und mit Liebe zu betreiben".
Treffpunkt: Stempfergasse 7
Samstag, 20. September, 15.00 – 16.30
7. Kunst und Kultur 2
Eva & Co war die erste europäische feministische Kulturzeitschrift (1982 - 1992). Künstlerinnen bezogen Stellung zu Themen wie Sexualität, Hexenverfolgung, würdigten andere Künstlerinnen ("Femmage á...") und entlarvten den männlichen Geniemythos. Die gleichnamige Künstlerinnengemeinschaft signalisierte Widerständigkeit gegen den HERRschenden Kulturbetrieb, der Männer als die eigentlichen Kunstschaffenden sieht.
Einige Werke der mittlerweile weltbekannten Komponistin Olga Neuwirth (geb.1968 in Graz) wurden in Graz uraufgeführt. Für ihre Zusammenarbeit mit Elfriede Jelinek wurde sie gefeiert, aber sie bleibt eine, „die sich nicht wegjodeln lässt“.
Die Malerin Elga Maly (1921-1989), Tochter der Malerin Ida Maly (1894-1941), war Gründungsmitglied des "Forum Stadtpark" und lange auch als Arbeitslehrerin an der Bundesbildungsanstalt für Arbeitslehrerinnen in Graz tätig.
Verschieden werden die Werke von Norbertine Bresslern-Roth (1891 – 1978) interpretiert. Die berühmte Grazer Tiermalerin wurde mit ihren außergewöhnlich lebendigen Tierdarstellungen berühmt, ihre Haltung zum Nazi-Regime blieb widersprüchlich.
Treffpunkt: Sparkassenplatz 1, Eingang zum Stefaniensaal
Samstag, 18. Oktober, 15.00 – 16.30
8. Politik
Die erste weibliche Landtagsabgeordnete, die im Sitzungssaal des provisorischen Landtags 1918 sprechen durfte, war die Sozialdemokratin Martha Tausk (1881 – 1957). Sie wurde als großartige Rednerin und Agitatorin geschätzt. Sie setzte sich in den 1920ern für eine Verbesserung der Sozialversicherung für Hausgehilfinnen ein, für die Entkriminalisierung der Abtreibung und für die Bezahlung von Ehejahren als Arbeitsjahren.
Die erste Frauenbeauftragte der Stadt Graz, Grete Schurz (* 1934), trat als erste Frauenbeauftragte in Österreich 1986 ihr Amt an. Nicht nur die kostenlose Beratung, sondern auch die Öffnung von Berufen wie Straßenbahnfahrerin, Gynäkologin, Zöllnerin für Frauen, das Ruhegeld für Pflegemütter, die Beleuchtung von Tiefgaragen, kinderwagengerechte Auffahrtsrampen standen im Mittelpunkt ihrer Arbeit und der ihres Teams. Sie unterstützte zahlreiche Frauenprojekte und begründete den Grazer Frauenrat, ein Forum aller Fraueninitiativen, -gruppen und Parteien, ebenfalls einzigartig in Österreich. Ebenso wie der gegenwärtigen Frauenbeauftragten Daniela Jauk (seit 2002) war es ihr wichtig, gegen sexistische Werbung und gegen geschlechtsspezifische Diskriminierungen öffentlichkeitswirksam vorzugehen.
Die wichtige Dokumentation der Aktivitäten, Produktionen und Arbeit der Neuen Frauenbewegung ist ein Arbeitsschwerpunkt des DOKU GRAZ: Das Frauendokumentations-Forschungs-Bildungszentrum (gegründet 1989) sammelt u.a. sogenannte "Graue Literatur", Flugblätter, Aufsätze, Broschüren der Frauenbewegung, um ihre Aktionen, Leistungen und Schriften der Forschung zur Verfügung zu stellen.
Treffpunkt: Tummelplatz 9
Samstag, 8. November, 15.00 – 16.30
9. Frauenprojekte
In den 1980ern und 1990ern wurden in Graz über 20 Fraueninitiativen gegründet. Die Frauenprojekte leisten einen wesentlichen Beitrag für Frauen in dieser Stadt: u.a. Beratung, Information, Weiterbildung, Kulturangebote.
Wenige haben sich aufgelöst, einige haben Tochterprojekte gegründet. Exemplarisch stellen wir folgende vor: Das Stadtteilcafé Palaver, ein multifunktioneller Frauenraum, ist seit 1999 eine Tochter des Vereins Frauenservice, und bietet ein Café und Beschäftigungsprojekt, Schreibstube, Seminarräume für Frauen und frauenspezifische Veranstaltungen an. Seit Jänner 2003 ist es auch der Infopoint für das Projekt WOMENT!.
Gegründet wurde der gemeinnützige, parteiunabhängige Verein Frauenservice 1984, damals noch mit dem Namen Frauenberatungsstelle. Mit der Erweiterung der Veranstaltungs- und Beratungsangebote, mit der Einrichtung von Forschungs- und Bildungsreferat, und der immer größeren Nachfrage von Frauen veränderte sie sich auch räumlich. Zuerst in einem kleinen Büro in der Triesterstrasse 97, dann in einem größeren Büro mit Beratungsräumen am Marienplatz 5, zog der Verein Frauenservice 1997 in die weitläufigeren Räume der Idlhofgasse 20.
Die ehemaligen Räume des Frauenservice am Marienplatz 5 sind nun Sitz des Vereines Danaida, der als Bildungseinrichtung und Treffpunkt für ausländische Frauen 1991 gegründet wurde.
Treffpunkt: Marienplatz 5
Samstag, 13. Dezember, 15.00 – 16.30
10. Spiritualität
Bei diesem Rundgang werden wir mit Vertreterinnen verschiedener Religionen über das Thema Spiritualität sprechen.
Die 1892 geweihte Synagoge war der Mittelpunkt des jüdischen Lebens im Graz dieser Zeit. Seit das Ansiedlungsverbot in Graz 1861 aufgehoben wurde, blühte eine kleine Gemeinde von ca. 2000 Gläubigen auf. Im Zuge der Gewaltakte der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden jüdische Einrichtungen verwüstet und geplündert, Jüdinnen und Juden bedroht, misshandelt und gefangengenommen. Die Synagoge ging in Flammen auf, die jüdische Gemeinde wurde ausgelöscht. Wenige überlebten. Die wiederaufgebaute Synagoge wurde am 9. November 2000 eröffnet.
Der erste Sakralraum in der Steiermark, der zur Gänze von einer Künstlerin, Minna Antova, gestaltet wurde, ist die Kapelle Maria von Magdala (eröffnet 13. Oktober 2000). In dieser Kapelle wird der Prozess der Marginalisierung von Frauen im öffentlichen Raum sichtbar gemacht.
Treffpunkt: Synagoge, David Herzogplatz 1
Literatur: "Über den Dächern von Graz ist Liesl wahrhaftig. Eine Stadtgeschichte der Grazer Frauen." Milena Verlag, Graz 1996.