Die "Superfrau" schwebt über der Europäischen Kulturhauptstadt
2003. Das Projekt "Woment!" macht die Leistungen von Frauen in Graz
sichtbar. Ein Würdigungsreigen von der Barock-Wirtin Anna Susanna
Prandtauerin bis zur Komponistin Olga Neuwirth.
Mann, war das eine Aufregung: In einer Zeit, in der das Korsett
zur Ausstattung der "anständigen bürgerlichen Frau" gehörte, in der
unverheiratete Frauen bloß in Begleitung ausgehen durften und die
Erfindung des pneumatischen Reifens als Grundlage für ein
funktionstüchtiges Zweirad in erster Linie der sportiven Männerwelt
zugute kam, revoltierte eine Frauengruppe gegen das Netz aus
Konventionen.
Anno 1893 trafen sie sich in der Grazer Gastwirtschaft "Zum
goldenen Steinbock" und führten die Gründungsversammlung des "Grazer
Damen-Bicycle-Clubs" (GDBC) durch. Eine Novität in Österreich, im
deutschen Sprachraum gab es nur ein Vorbild.
Die Ausfahrten ins Grüne wurden zu einer Manifestation weiblichen
Selbstbewusstseins.
Im provokativen, weil engen Gala-Dress und mit der in der
Öffentlichkeit umstrittenen Schirmmütze wurden unter der Leitung von
"Fahrmeisterin" Louise Sorg allein im ersten Vereinsjahr mehr als
8700 Kilometer abgespult. Die vorwiegend aus großbürgerlichem Umfeld
stammenden 27 Mitglieder des GDBC trugen maßgeblich dazu bei, dass
Frauen auf Fahrrädern um 1900 kein "Anstandsproblem" mehr
darstellten.
Denkmäler erinnern an Männergeschichte
Seit kurzem erinnert in Graz eine Gedenktafel an die mutigen
Frauen, die erfolgreich gegen Männerdomänen geradelt sind. Eine von
insgesamt 23 Tafeln, die zum Ziel haben, der Unsichtbarkeit der
Geschichte von Frauen im öffentlichen Raum entgegenzuwirken.
Denkmäler haben ein Geschlecht: Sie erinnern (nicht nur) im Fall
der steirischen Landeshauptstadt nahezu ausschließlich an die
Geschichte von Männern. 167:3 lautet das ungleiche, schier
unglaubliche Verhältnis. Um dieses Manko aufzuzeigen und darauf
hinzuweisen, dass auch Frauen Geschichte gemacht haben, hat die
38-jährige Kultur- und Projektmanagerin Bettina Behr für "Graz 2003 -
Kulturhauptstadt Europas" das Projekt "Woment!" entworfen. Eine
Wortschöpfung, die auf die englischen Begriffe für Frau und Bewegung
("woman" und "movement") zurückgeht, freilich auch Assoziationen an
"monuments" (Denkmäler), "men" (Männer) oder "Moment" zulässt.
",Woment!' ist eine Würdigung von Frauen. Ein feministisches Projekt,
das Licht auf jene wirft, die widerständig gegen Zuschreibungen, wie
Frauen zu sein haben, waren und sind", sagt Behr.
Mit "Woment!" wird erstmals in der Geschichte der europäischen
Kulturhauptstädte ein feministisches Projekt realisiert. Acht
Frauenorganisationen haben insgesamt zehn Teilprojekte entwickelt,
als Logo dient die von den Künstlerinnen Eva Ursprung und Veronika
Dreier entwickelte "Superfrau", die heuer nicht nur symbolisch,
sondern auch via Plakattafeln über Graz schwebt. Eine attraktive
Superheldin, die bereits 1988 - in einer Größe von sechs Metern - als
Symbol für Graz als "intergalaktisches Zentrum für Superfrauen" mit
einem Ballon gen Himmel schwebte. Die "Superfrau" war auch
Schutzherrin eines Science-Fiction-Literaturwettbewerbes von
"Eva&Co", der ersten feministischen Kulturzeitschrift Europas. 1981
in Graz gegründet, wurden aus Gründen der "leichteren Verdaulichkeit"
unter anderem essbare Hefte mit Brot, Schinken, Oblaten und
Zuckerguss produziert. "Wir gehen in den Untergrund und in den
Himmel", lautete das Motto von "Eva&Co".
Das Würdigungstafelprojekt baut auf die von Ilse Wieser und
Brigitte Dorfer konzipierten "FrauenStadtSpaziergänge" auf, heißt
"20+03 Orte" und würdigt Frauen in, aus und um Graz. Die Germanistin
Christine Touaillon (1878-1928) zum Beispiel, die sich im Jahr 1919
trotz höchster Qualifikation nicht habilitieren durfte. Begründung
des Senats der Philosophischen Fakultät der Universität Graz: "Das
Kollegium trägt starke Bedenken, ob Frauen überhaupt im Stande sind,
auf junge Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren, in dem bestimmte
spezifisch männliche Eigenschaften am stärksten hervortreten, den
erforderlichen pädagogischen Einfluss zu nehmen."
In Wien wurde Touaillon zumindest als Privatdozentin für neuere
deutsche Literatur zugelassen. Wann die erste Habilitation einer
Germanistin in Graz erfolgt ist? Spät, sehr spät: Beatrix
Müller-Kampel im Jahr 1993.
Gewürdigt wird auch die Schauspielerin Marisa Mell (1939-1992),
die die ersten 18 Jahre ihres Lebens in der Uhrturm-Stadt verbracht
hatte. Geboren als Marlies Moitzi, startete sie 1963 im
Ken-Russell-Film "French Dressing" ihre internationale Filmkarriere,
in der sie unter anderem mit Marcello Mastroianni, Alain Delon und
Michel Piccoli zusammenarbeiten sollte. "Die Mell" scheiterte
schließlich an den Vorgaben und Ausbeutungen des Star-Tums. "Ein
Traumleben voller Glamour - die Liebe aber kam zu kurz. Der Film
riss, als sie nicht mehr makellos sein konnte", schreibt die Autorin
Eva Rossmann auf der an Mells ehemaligem Wohnort angebrachten
Würdigungstafel.
Die in der Küche gebräuchliche Redewendung "Man nehme . . ." ist
weithin bekannt. Wer aber weiß, dass sie auf Katharina Prato
(1818-1897), eine im 19. Jahrhundert wohl bekannte Kochbuchautorin,
zurückgeht? Ihr nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichtes
Standardwerk "Die große Prato - Kochbuch der österreichischen und
süddeutschen Küche, mit böhmischen, englischen, französischen,
italienischen, serbischen und ungarischen Nationalspeisen" ist bis
heute das auflagenstärkste Werk des Grazer "Styria"-Verlages. Für
"Woment!" werden der "gespickte Kapaun" und andere Deftigkeiten eine
kulinarische Renaissance erleben: Der Kunstverein "W.A.S." inszeniert
ein "Restaurant a la Prato", in dem auch Lesungen und Installationen
aufgetischt werden.
Wer noch auf den von der Künstlerin Sabina Hörtner gestalteten
Gedenktafeln gewürdigt wird? Maria Cäsar, die heute 83-jährige,
ehemalige Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.
Aus Klauen männlicher Willkürherrschaft
Anna Susanna Prandtauerin (1600-1668), eine beliebte Wirtin, die
sich wirksam gegen den Vorwurf, in enger Verbindung mit dem Teufel zu
stehen, zur Wehr setzen konnte und sich so aus den Klauen der
männlichen Willkürherrschaft befreite. Inge Morath (1912-2002), die
weltberühmte Fotografin, Olga Neuwirth, 34-jährige Komponistin für
Neue Musik, Martha Tausk (1881-1957), die erste weibliche
Abgeordnete, die 1918 in den provisorischen Landtag einziehen konnte,
oder die 1934 geborene Grete Schurz, die als erste Frauenbeauftragte
in Österreich Pionierarbeit im Grazer Rathaus leistete. Bettina Behr:
"Unter ihrem persönlichen Motto ,Keine Rosen ohne Dornen' kämpfte sie
mit Kraft und Kreativität gegen die Benachteiligung von Frauen."
Eröffnet wird "Woment!", das auch ein Straßentheaterprojekt
"KörperKult(ur)", die Erforschung interreligiöser und
überkonfessioneller Frauengeschichte durch die katholische
Frauenbewegung (",FrauenWege") oder die dem Themenkomplex "Identität,
Erinnerung und Gedenken" verpflichtete Theoriewerkstatt
"Movements-Monuments" umfasst, heute, Samstag, im Grazer Forum
Stadtpark. "Wir wollen mit dem bis über das Kulturhauptstadtjahr
hinausreichenden Veranstaltungsreigen dazu beitragen, weibliches
Selbstbewusstsein zu ermutigen und zu einem umfassenden Begriff von
Geschichte zu gelangen", erklärt die Projektleiterin und
Koordinatorin Bettina Behr.
Die Superfrau schwebt symbolisch und via Plakat-Tafeln über der
Kulturhauptstadt Graz.
Bilder: SN/Woment (2)