(VN) Auch die Ernennung einer Kulturhauptstadt durch die
Europäische Union hat mit der griechischen Kulturministerin Melina
Mercouri eine Frau initiiert. Wenn in Graz nun in wenigen Tagen der
Startschuss zum Kulturhauptstadtjahr fällt, stellt sich freilich wie
immer die Frage, ob es nur eine Marketingsache ist, oder ob
nachhaltige Projekte gelingen. Abgesehen davon rücken in Graz im
Besonderen die Frauen in den Mittelpunkt.
Bettina Behr, Leiterin des Projekts "woment", hat auch in Graz das
festgestellt, was leider für viele Städte gilt. Trotz Denkmalflut ist
von den Leistungen der Frauen fast nichts sichtbar. Eine Gruppe von
Wissenschafterinnen und Künstlerinnen war sich einig, dass sich das
spätestens im Zuge des Kulturhauptstadtjahres ändern sollte.
Behr: "Frauen haben auch Geschichte gemacht, dennoch wird in
Schulen ein merkwürdiges Geschichtsbild vermittelt." Andererseits
sollten den Frauen ihre weiblichen Vorbilder zurückgegeben werden.
Persönlichkeiten
Dass die berühmte Fotografin Inge Morath aus Graz stammte, dürfte
den meisten noch bekannt sein, wenn es darum geht,
Wissenschafterinnen zu nennen, die in so genannte männliche Domänen
eindrangen und sich dort durchsetzten, oder gar
Widerstandskämpferinnen, dann tun sich die meisten Menschen schon
schwer. Dass Herta Frauneder-Rottleuthner 1935 an der TU als erste
Frau das Architekturstudium absolvierte und fünfzig Jahre trotz
Diffamierungen aufgrund ihres Geschlechts tätig war, dass Maria Cäsar
als junge Frau gegen die Nationalsozialisten kämpfte, das erfahren
die Graz-Besucher und -Bewohner demnächst im Zuge von speziellen
Erkundungsgängen. Die Initiative "woment" wird als einen ihrer
Programmpunkte nämlich an 23 Häusern und Orten Tafeln anbringen, die
an die Grazer Frauen erinnern.
Opfer
Gedacht wird dabei nicht nur an Einzelpersonen, sondern etwa auch
an die Opfer und Überlebenden sexualisierter Gewalt oder an
historische Ereignisse wie an die von Frauen organisierte
Hungerdemonstration im Jahr 1920, die von der Geschichtsschreibung
verharmlost wurde.
Nachhaltigkeit
Die Tafeln werden im Übrigen über das Kulturhauptstadtjahr hinaus
in der Stadt bleiben. Weitere "woment"-Projekte, die in
Zusammenarbeit mit verschiedenen Initiativen entwickelt wurden,
beziehen sich auf Gesundheit, Ausbildung oder Religion. Ohne
Kulinarik kein Kulturhauptstadtjahr. Und auch dort waltet im
Besonderen die oft hintangestellte weibliche Hand. Katharina Prato
(1818-1897) war eine erfolgreiche Kochbuchautorin. Im
Prato-Restaurant wird nach ihren Rezepten gekocht.
Was die grundsätzliche Nachwirkung des Kulturhauptstadtjahrs für
Graz betrifft, ist Bettina Behr nicht nur pessimistisch.
Ansonsten gilt das Übliche: "Sehen wer wie und zu welchem Ziel die
Fäden zieht". Da zeichne sich allerdings noch keine Avantgarde in der
einstigen Avantgarde-Stadt ab. Netz: http://woment.mur.at
Frauen haben auch Geschichte gemacht, dennoch wird in Schulen ein
merkwürdiges Geschichtsbild vermittelt.
BETTINA BEHR
Vereinzelt wird das Kulturhauptstadtjahr auch Initialzündungen
bewirken. Andererseits ist es legitim, dass es eine große
Marketinggeschichte ist.
BETTINA BEHR
1920 initiierten Frauen eine Hungerdemonstration. Der so genannte
"Kirschenrummel" wurde von der Geschichtsschreibung verharmlost.
Maria Cäsar war im Widerstand.
FAKTEN ZUR KULTURHAUPTSTADT
Einwohner: 250.000, davon 60.000 Studenten
Weltkulturerbe: Teile der Innenstadt gehören seit 1999 zum
Weltkulturerbe
Internet: www.graz03.at
Einige Programmhöhepunkte: Projekt "woment" (siehe Artikel
nebenan), Uraufführung des Musiktheaterstücks "Begehren" von Beat
Furrer, Uraufführung des Theaterstücks "Butterfly Blues", Autor und
Regisseur Henning Mankell, Ausstellung "Latente Utopien. Experimente
der Gegenwartsarchitektur", Uraufführung des Theaterstücks
"Chorfantasie" von Gert Jonke, Ausstellungen zu den Grazern Inge
Morath (Fotografie) und Leopold von Sacher-Masoch (Literatur)
Kunsthaus: Eröffnung am 27. September