Darf
ich Sie auf eine Zeitreise ins Jahr 2003 einladen? Am 8. März 2003
sollten wir am besten in Graz sein und abends das neu eröffnete "Restaurant
à la Prato" besuchen.
Mit Ach und Krach finden
wir im rappelvollen Lokal einen freien Platz. Das Etablissement will der
bekannten Grazer Kochbuchautorin Katharina Prato (1818-- 1897) ein würdiges
Denkmal setzen. Was eignet sich besser, um im Geist der großen Köchin
zu tafeln, als eine Speisekarte mit ausgewählten Prato-Gerichten?
An unserem Nebentisch sitzt
die Superfrau, ein Wesen, das wie Supermans wilde Schwester aussieht, mit
langen blonden Locken, ihr kirschroter Umhang, der sonst in Fluggeschwindigkeit
im Wind flattert, hängt lässig über der Stuhllehne. Genießerisch
widmet sie sich dem Prato-Makkaroniauflauf, bei dem jede einzelne Makkaroni
kunstvoll über die andere geschlichtet wurde. Vor uns sitzt die deutsche
Feministin Alice Schwarzer und lässt sich gerade ein Stück Heidentorte
im Mund zergehen - ein besonderer Prato-Leckerbissen, hergestellt aus Buchweizenmehl,
von Hand geschlagener Butter und einem Berg Heidelbeermarmelade. Eine Gruppe
gut gelaunter Frauen kommt gerade vom FrauenStadtSpaziergang und gönnt
sich ein herzhaftes Prato-Menü. Wir hören die schrägen Sounds
der Grazer Komponistin Olga Neuwirth. Die Autorin Eva Rossmann bereitet
sich gerade darauf vor, aus ihrem neuesten Krimi vorzulesen und die Multimediakünstlerin
Valie Export lässt sich bestimmt auch bald blicken.
10 Frauennetzwerke bilden
"WOMENT!"
Dass sich diese Szene so
oder ähnlich am internationalen Frauentag im Jahr 2003 tatsächlich
zutragen wird, ist das Verdienst von "WOMENT!". Das groß angelegte
Frauenprojekt wird im Rahmen von "Graz 2003" umgesetzt. Das "T" im Namen
von "WOMENT!" hat sich aus den Worten Movement und Monument eingeschlichen.
Erklärtes Ziel ist, nicht nur mit flüchtigen Aktionen und Veranstaltungen
auf die Geschichte und die Leistungen von Frauen in Graz hinzuweisen, sondern
auch bleibende Denkmäler zu installieren. Getreu dem Motto des Projekts:
Geschichte von Frauen in Graz wird sichtbar und bleibt sichtbar. Das Rufzeichen
bedarf an sich keiner Erklärung. Wer doch eine möchte, dem sei
vor Augen geführt, dass "WOMENT!" ein noch nie da gewesenes Beispiel
für das Zusammenarbeiten von Frauennetzwerken ist: Zehn Grazer Fraueninstitutionen
beteiligen sich am Gesamtprogramm, das vom Frauenservice initiiert, getragen
und koordiniert wird. Der Reihe nach:
23 Gedenktafeln für
Frauen
Ausgangspunkt für "WOMENT!"
waren die FrauenStadtSpaziergänge der Historikerin Brigitte Dorfer
und der Kunstvermittlerin Ilse Wieser. Seit mehr als zehn Jahren bieten
die beiden Stadtrundgänge zu frauenspezifischen Themen an. Einziger
Wermutstropfen der munteren Querfeldeinwanderungen, die zwischen weiblicher
Geschichte und Gegenwart changieren, war, dass es bislang kaum sichtbare
Zeichen der Leistungen von Frauen gab. Eine Studie hat gar ergeben, dass
in Graz mehr Straßen nach Vögeln benannt sind als nach Frauen.
Nichts gegen die Vögel, aber was die wackeren Spaziergängerinnen
noch bedenklicher stimmte, war die Tatsache, dass von den zig Denkmälern
in Graz gerade drei Frauen gewidmet sind. "Denkmäler zeigen nicht
unbedingt, woran sich eine Gesellschaft erinnert -- Denkmäler sind
vielmehr Zeichen für den aktuellen Zustand einer Gesellschaft", sagt
Dorfer. "Zeichen sollten jetzt gesetzt werden", beschlossen Dorfer, Wieser
und Bettina Behr, die im Frauenservice für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit
zuständig war. Die Idee nahm rasch Gestalt an: 23 Gedenktafeln, die
für "20+03 WOMENT!-Orte" stehen, sollten angebracht werden, um an
bedeutende Frauen, engagierte Frauengruppen und wichtige Frauenthemen zu
erinnern. Zu diesem Hauptprojekt des Frauenservice gesellten sich die Vorschläge
der anderen Frauennetzwerke und Bettina Behr übernahm die Koordination
und Projektleitung. "Sie ist das Herz des Netzwerks", schwärmt Katharina
Hofmann-Sewera vom "Graz 2003"-Koordinationsbüro. "Das Projekt 'WOMENT!'
entspricht der Philosophie von Graz 2003, dass die Partner und Partnerinnen
kooperativ arbeiten und nicht eigene Süppchen kochen." Die Geduld
und die Mühe haben sich gelohnt, meint Bettina Behr und freut sich
auf die Realisierung. "Die zehn beteiligten Frauenvereine sind nur ein
kleiner Ausschnitt der frauenbewegten Szene in Graz", erklärt Ilse
Wieser, "aber ein wichtiger Anfang ist gemacht." "Die Tendenz ist heute
noch immer da, dass die Leistungen von Frauen in der Öffentlichkeit
übersehen werden," ergänzt die Künstlerin Eva Ursprung und
findet, dass es "höchst an der Zeit" für ein Projekt wie "WOMENT!"
ist.
Die Superfrau ist nicht zu
übersehen
Eva Ursprung und Veronika
Dreier vom Kunstverein W.A.S. haben nicht nur das "Restaurant à
la Prato" entwickelt, sondern den sichtbarsten Blickfang für das gesamte
Projekt entworfen: die Superfrau. Erstmals wurde die Pop-Art-Ikone 1988
in der feministischen Frauenzeitung "Eva & Co" gesichtet. Schon damals
hat sie mit gewagten Aktionen von sich reden gemacht. Sie hat Graz zum
intergalaktischen Zentrum für Superfrauen ernannt. In Form einer 6
Meter hohen Skulptur stieg sie am Gleisdorfer Hauptplatz mit einem Ballon
in die Lüfte. "Sie ist uns davongeflogen", meint Ursprung, "vielleicht
war die Zeit noch nicht reif." Für "WOMENT!" ist sie rechtzeitig wieder
zurückgekehrt, um beim Superfrauen-Projekt nach dem Rechten zu sehen.
Da sie eine marketingbewusste Dame ist, lässt sie ihr Konterfei auf
Kugelschreibern und Feuerzeugen verewigen. Freilich wird es dabei nicht
bleiben. Was sie sonst noch vorhat, fällt unter die intergalaktische
Geheimhaltungspflicht. So viel können ihre irdischen Erfinderinnen,
Ursprung und Dreier, jetzt schon versprechen: "Die Superfrau wird nicht
zu übersehen sein."
Frauen gehen auf die Straße
Gut sichtbar wird allerorts
das Straßentheater des Frauengesundheitszentrums (http://www.fgz.co.at)
sein. "Wir gehen mit unserem Anliegen, den weiblichen Körper in seinen
gesellschaftlichen Zusammenhängen zu thematisieren, diesmal auf die
Straße", schmunzelt die Leiterin Sylvia Groth. Da sie selbst eine
leidenschaftliche Theaterspielerin ist, lag der Gedanke nahe, mit den Mitteln
des Theaters neue Handlungsmodelle zu erforschen und neue Ausdrucksformen
zu finden. "Wir sind immer auf der Suche nach Impulsen, um lustvoll das
Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken", sagt Groth. Gemeinsam mit
der Theatergruppe InterACT, die für ihre interaktiven Street-Performances
bekannt ist, werden unter dem Titel "Auf den Leib geschrieben. KörperKult(ur):
Weibesfülle und Widerwille" drei Stücke erarbeitet. Das Körpertheater
hat eine nachhaltige Wirkung: Auch über das Jahr 2003 hinaus können
die Produktionen angefordert werden. Das Frauengesundheitszentrum zieht
mit der Performance auch in Schulen, Spitäler oder in regionale Zentren.
Auf den Straßen von
Graz wird auch die Katholische Frauenbewegung zu sehen sein. Nach dem Vorbild
der FrauenStadtSpaziergänge werden unter der Leitung von Maria Irnberger
die Spuren religiös bewegter Frauen gesucht. Das Besondere am Projekt
"FrauenWEGE" ist der konfessionsübergreifende, ökumenische und
interreligiöse Ansatz, der sich entschieden gegen ein Gerede vom Kampf
der Kulturen stellt. Die themenzentrierten Rundgänge können in
Form einer Broschüre nachgelesen oder online besucht werden.
Girlie-Power on screen
Selbstverständlich
kommen beim Frauenprojekt auch Mädchen zu Wort -- und Bild. Junge
Frauen werden den Videoclip "Make a sign" über kreative Mädchenwelten
produzieren. Umgesetzt wird der Film mit Hilfe von MAFALDA und Ingrid Erlacher.
Die feministische Mädcheneinrichtung ist seit 12 Jahren in der Mädchenberatung
tätig und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Kreativität junger
Frauen zu fördern und sie berufsberatend bei der Wahl nicht traditioneller
Berufe zu unterstützen.
Bei so viel kulturellen Aktivitäten
darf die Theorie nicht fehlen. Die interuniversitäre Koordinationsstelle
für Frauen- und Geschlechterforschung (http://www.kfunigraz.ac.at/kffwww)
, das ist eine gemeinsame Einrichtung der drei Grazer Universitäten
zum Zweck der Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses
und Personals und des Ausbaus von Forschungs- und Lehraktivitäten
der Frauen- und Geschlechterforschung) hat die Theoriewerkstatt "MOVEMENTS
-- MONUMENTS", geplant von Barbara Hey, ins Leben gerufen. Drei Tage lang
werden sich Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen mit Geschichte
und Gegenwart weiblicher Identität auseinander setzen. Erwartet werden
zur hitzigen Diskussion die Medienkünstlerin Valie Export, die Gendertheoretikerin
Silvia Eiblmayr, Bracha Lichtenberg-Ettinger, Griselda Pollock, Ursula
Kubes-Hofmann, Heidemarie Uhl, Silke Wenk und viele andere.
Orientierung
Um bei den vielfältigen
Produktionen die Übersicht zu behalten, wird im Stadtteilcafé
Palaver ein "WOMENT!-Infopoint" eingerichtet. Bei Kaffee und Kuchen können
Interessierte in dem Café immer auf dem Laufenden bleiben. Nicht
von ungefähr fiel die Wahl auf das selbstverwaltete Café: Das
Palaver ist ein Projekt des Frauenservice, das sich vor allem in der Bildungsarbeit
für Frauen engagiert und sich verdienstvoll um die Integration von
Frauen aus allen Kulturkreisen bemüht.
Im Internet vernetzt die
Webkünstlerin Doris Jauk-Hinz vom Kunstverein W.A.S. alle Projekte
und Veranstaltungen von "WOMENT!". Eine virtuelle Ausstellung wird das
Frauendokumentations-, forschungs- und -bildungszentrum beisteuern. "PLAKATIV!"
macht 15 Jahre frauen- und gesellschaftspolitische Kultur in Graz sichtbar.
Die Frauen sind lange im
Schatten der Geschichte gelassen worden. Bei "WOMENT!" werden die Erfahrungen
der Gegenwart mit den Ergebnissen jahrelanger Nachforschungen idealerweise
verknüpft. Darum gilt: Was Sie schon immer über Geschichte und
Gegenwart der Grazer Frauen wissen wollten, fragen Sie getrost bei "WOMENT!"
nach. |